From: tilman@berlin.snafu.de (Tilman Hausherr) Subject: Re: Presseschau Scientology Date: 25 Aug 1998 00:00:00 GMT Message-ID: <35e81779.3282513@news.snafu.de> Content-Transfer-Encoding: 8bit References: <3665a010.181969774@news.snafu.de> <3609bd6b.96624949@news.snafu.de> <35e0feda.74602547@news.snafu.de> <3636edc6.201338010@news.snafu.de> Content-Type: text/plain; charset=ISO-8859-1 Organization: United Umbilicals, Inc Mime-Version: 1.0 Newsgroups: de.soc.weltanschauung.scientology Protokoll einer Zerstörung Einblicke in die geheimen Personalakten von Scientology Süddeutsche Zeitung Magazin 21.8.1998 Das lange Leiden des Konrad Aigner Wie Scientology Menschen zerstört. Ein Fallbeispiel mit tödlichem Ausgang. Von Michaela Haas 1. „Wir haben dich lieber tot als unfähig." HUBBARD COMMUNICATIONS OFFICE, 12. OKTOBER 1985 Für seine Freunde von früher lebt Konrad Aigner weiter, als sei nichts gewesen. Es vergeht kaum eine Woche, in der er keine Post von Scientology erhält. Vor wenigen Tagen erst, so erzählt Konrads Bruder Bernhard, sei ein an Konrad adressierter Brief mit der Aufforderung gekommen: „Teile uns bitte mit, was Dein größter Erfolg bei Scientology war." Bernhard Aigner sagt: „Da hab' ich Konrads Todesanzeige zurückgeschickt und dazugeschrieben: ‘Euer größter Erfolg war mein Tod am 11. August 1997’, Wir wollen endlich in Ruhe trauern." Dabei müßten die Scientologen die Tatsachen genau kennen. Denn ausgerechnet in ihrer Münchner Zweigstelle in der Beichstraße bricht Konrad Aigner am 21. Juli 1997 zusammen. Um 22 Uhr kommt der Notarzt, drei Wochen später stirbt Aigner im Schwabinger Krankenhaus, ohne aus dem Koma wieder aufgewacht zu sein. Auch wenn er Kettenraucher und Kaffeetrinker war - daß bei einem 43 Jahre alten Mann ein inneres Organ nach dem anderen versagt und keine Behandlung anschlägt, erscheint den Ärzten ungewöhnlich und rätselhaft. Normalerweise sterben nur alte Menschen an diesem „Multi-Organ-Versagen". Sofort ordnen die Ärzte eine Obduktion an. Ergebnis: Aigner ist an einer Infektionserkrankung gestorben. Genauer will es die Staatsanwaltschaft aufgrund des Persönlichkeitsschutzes nicht sagen. Eine Diagnose, ebenso vieldeutig wie nichtssagend. Am 10. Februar 1998 durchsuchen 130 Polizisten und vier Staatsanwälte die Münchner Scientology-Zentrale, unter anderem, um die Frage zu beantworten. Warum starb Konrad Aigner? Für die Familie Aigner klingt es wie Hohn, daß sie in den Anweisungen des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard den Satz findet: „Wir haben dich lieber tot als unfähig." 2. „Mache Geld, mache mehr Geld!" L. RON HUBBARD 23 Jahre lang war Konrad Aigner bei Scientology, jenem umstrittenen Psychokonzern, der sich Kirche nennt und seit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz nur noch 10 000 Mitglieder in Deutschland zählt. Scientology selbst spricht dagegen weiterhin von 30 000 Mitgliedern. Als Konrad Aigner stirbt, hinterläßt er ein Erbe, mit dem seine Familie nicht gerechnet hat: Schulden in sechsstelliger Höhe. In seinem Zimmer finden die Eltern haufenweise „Spendenquittungen" der Organisation - und zwei außergewöhnliche Dokumente: handgeschriebene Protokolle aus dem Jahr 1990. Darin schildern zwei Scientologinnen auf dreißig Seiten detailliert, wie sie versuchen, den Busfahrer Schritt für Schritt dazu zu bringen, Kredite für insgesamt rund 200 000 Mark aufzunehmen - ein exemplarisches und in der deutschen Presse noch nie veröffentlichtes Dokument darüber, wie Scientologen ihren Mitgliedern Geld aus der Tasche ziehen. Der Bericht beginnt in der für Scientology typischen, verschlüsselten Kunstsprache: Konrad Aigner ist seit 16 Jahren in Scientology + hat es bis jetzt nicht gepackt Clear zu gehen bzw. die Brücke hochzugehen sondern ist immer wieder von der Brücke gefallen und bat Alkohol getrunken etc. Wir (G. + ich) haben uns deshalb vor einigen Wochen dazu entschlossen ihm zu helfen daß er es packt und die Brücke endlich hochgeht. Konrad Aigner besitzt einige Ländereien (Wiesen, Wälder + Äcker + ein Wohnbaus) in Niederbayern, dies gehört ihm aber seine Eltern wohnen dort und haben ein Nutzungsrecht (oder so ähnlich) auf diese Ländereien. Konrad bat vor einigen Jahren schon mal 50.000.- DM auf diese Ländereien aufgenommen + hat es in Copenhagen einbezahlt. Die Eltern mußten mitunterschreiben und damals hat Konrad sie schon angelogen + gesagt er nimmt das Geld „wenn mal am Haus was zu machen ist. Konrad Aigner wächst mit sechs Geschwistern in Ruhmannsaigen auf, einem kleinen Weiler bei Pfarrkirchen in Niederbayern. Von einer Organisation namens Scientology hat man in dieser erzkatholischen, bodenständigen Gegend wenig gehört. Erst als Aigner Mitte der siebziger Jahre nach München zieht, wo er für die Bundesbahn als Busfahrer arbeitet, gerät er in Kontakt mit dem Psychokonzern - wie viele in dieser Zeit, lange bevor Scientologys menschenverachtende Methoden in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Durch die Erzählungen seines Bruders neugierig geworden, besuchte damals auch der 37jährige Bernhard Aigner die Münchner Zentrale. „Ich habe so einen Persönlichkeitstest mitgebracht, mit dem Scientology die Leute einfängt", sagt er. „Lauter freundliche Leute waren da, viele junge, hübsche Frauen, da kann man sich schon blenden lassen. Der Konrad war ein sehr gutmütiger, leichtgläubiger, unerfahrener Bauernsohn das ideale Opfer für Scientology." Konrad Aigner war eine Stimmungskanone, immer so lauthals und bierselig fröhlich, daß sein bester Freund, der Arzt Stephan Gemen, manchmal skeptisch wurde. Die beiden hatten sich bei der Bundeswehr kennengelernt. Oft habe er sich gefragt, sagt Gemen, wie sehr Konrad hinter seiner Fassade wohl darunter gelitten haben mochte, daß er mit seiner kleinen, dicklichen Statur und dem schütteren Haarwuchs „halt nicht der Hübscheste war. Er war ein Anti-Soldat wie der Schwejk. Er hat sich immer bemüht, und er hat es einfach nicht geschafft." Dem damals noch jungen Busfahrer, dem weder im Beruf noch bei den Frauen etwas glücken will, verspricht Scientology nicht nur Geld, Erfolg und Anerkennung. Die Organisation hat ihn für Höheres vorgesehen: Einen „Clear" will sie aus ihm machen, einen perfekten, psychisch gereinigten „Übermenschen". Doch die Ausbildung kostet mehr Geld, als der beamtete Busfahrer bei der Bahn verdient. Konrad brauchte 37.000.- bis Clear, also gingen wir zu seiner Bank in Augsburg + fragten ob wir die Ländereien mit 37.000.- mehr beleihen können. (...) Konrad hatte von Anfang an das Problem daß er nicht wollte daß seine Eltern etwas von der Sache mitkriegen. Ich sagte ihm daß wir zu ihnen hingehen + daß wir ihnen sagen daß es für Scientology ist + daß wir sie dafür handhaben. Ich sagte ihm daß ich ihm dabei helfen werde. (ich habe das schon öfter gemacht), Konrad wollte das nicht + hatte totale Angst daß dann der Teufel los ist in der Familie. „Wir haben gedacht", sagt die heute 76 Jahre alte Mutter Anna, „der Konrad zahlt da halt Mitgliedsbeitrag, aber daß die soviel Geld verlangen, haben wir doch nicht geahnt." Die sieben Geschwister waren sich immer einig: „Der Konrad ist der Ehrlichste, Bodenständigste, handwerklich Geschickteste, er soll den Hof übernehmen." Heute weiß Bernhard Aigner: „Wir haben uns getäuscht." Noch am selben Tag, an dem der Vater den Hof an Konrad übergibt, tritt dieser heimlich Grundstücke ab. Er nimmt Kredite auf. Rechnungen belegen, daß er innerhalb eines halben Jahres mehr als 85 000 Mark an die Organisation überweist. Für ein sogenanntes Intensiv-Auditing, eine Art Verhör, berechnet Scientology 6750 Mark. Bernhard Aigner hat ausgerechnet, daß sein Bruder insgesamt etwa 600 000 Mark überwiesen haben muß. „Er ist nie in den Urlaub gefahren, er hat sich nie etwas geleistet, und dennoch hat er nichts als Schulden hinterlassen." Als die Augsburger Bank Schwierigkeiten gemacht hat wegen dem Geld hatte ich die Idee daß wir zu einer Bank in Niederbayern geben, die nahe an den Ländereien ist + und sie kennt denn dann haben wir bessere Chancen. Wir sind dann zur Raiffeisenbank in Triftern und die haben sich sofort bereit erklärt die Ländereien mit 200.000.- DM zu beleihen, aber dazu mußten die Eltern unterschreiben beim Notar. (Protokoll 2:) Zwischendurch mußten wir Konrad wieder handhaben, weil er für die Erhöhung der Grundschuld die Unterschrift der Eltern brauchte, was er nicht konfrontieren konnte. Wir gingen zuerst zur Bank, ich ging mit Konrad rein, und er stellte mich als seine Bekannte vor. Ich hatte den Ehering ausgezogen, sodaß sie mich für die Braut von Konrad halten könnten. (Protokoll 1:) Konrad hat dann die Eltern angerufen + und sie zum Notar bestellt + gesagt er brauche das Geld „um was am Haus zu machen etc.„ + sie haben unterschrieben. Dieselbe Story hat er auch auf der Bank erzählt. ( .. ) Nun gut, das war der erste cycle. (Protokoll 2:) Es war ein Gewinn auf der ganzen Linie. Immer wieder will Konrad Aigner aussteigen. Zu seiner Mutter sagt er: „Mama, ich will weg von denen. Ich hab' so was Schreckliches erlebt, wenn ich dir das erzählen würde, würdest du tot umfallen." Bevor die Protokolle im März 1990 entstehen, häufen sich diese Andeutungen. Seinem Freund Stephan Gemen erscheint Konrad Aigner „um 180 Grad verändert": bedrückt und depressiv. Aigner bittet den Arzt um ein Attest, das bestätigt, daß er sich negativ verändert habe, „damit ich denen beweisen kann, daß sie nicht halten, was sie versprochen haben". Er erzählt auch von seinen Schulden und sagt: „Ich habe den Verein endlich durchschaut. Ich will da raus." Gemen rät dem Freund, sofort auszusteigen. Nach diesem Gespräch meldet sich Konrad Aigner lange nicht. Als Stephan Gemen später nachfragt, wehrt Aigner unwirsch ab. „Ich hatte den Eindruck, daß die ihm den Kontakt mit mir verboten haben. Er kam mir vor, als hätte er eine Gehirnwäsche hinter sich." Auch die Protokolle dokumentieren, daß Konrad Aigner immer wieder protestiert. Nachdem die Bank den ersten Kredit bewilligt hat, drängen die beiden Scientologinnen Aigner, noch mehr Geld aufzunehmen und einem anderen, finanziell in Schwierigkeiten geratenen Scientologen 50 000 Mark zu leihen. Er war sehr sauer, wie ein Giftzwerg schimpfte er über uns. Wir fanden heraus (...) daß er Gegenabsichten hatte bei dem Plan. R. rückte ihm den Kopf zurecht. Als die Bank bei den weiteren Kreditanfragen mißtrauisch wird und Belege für die angebliche Renovierung des Elternhauses verlangt, spielen ihm die beiden Scientologinnen gefälschte Papiere zu: Dann haben wir dem Aigner 2 Rechnungen besorgt, 1 x von H. Transporte für einen Kleintransporter und (20.000.-) 1 x von meinem Mann über Renovierungsarbeiten (50.000.-). Wir haben es so cool gemacht wie es ging. Die Bank informiert schließlich die Eltern, und der Vater verhindert bis zu seinem Tod 1993 weitere Kredite. Aber Konrad Aigner braucht immer mehr Geld für neue Kurse. Also kündigt er seinen Beamtenjob und arbeitet als selbständiger Busfahrer. „Ihr werdet sehen", sagt er zu seiner Familie, „mit mir geht es jetzt ganz schnell bergauf. Geld spielt überhaupt keine Rolle." Konrad schläft kaum noch. Bis drei, vier Uhr morgens hören ihn die Geschwister in seinem Zimmer auf- und ablaufen. „Er stand brutal unter Druck", erinnert sich sein Bruder. „Wenn das Telephon geläutet hat, ist er schon zusammengezuckt. Es war, als ob er immer verfolgt würde. Er hat mir so leid getan." Spricht man Konrad Aigner darauf an, wehrt er ab, will nicht darüber reden. Die Familie diskutiert oft darüber und kommt zu dem Schluß: Konrad macht sich Sorgen wegen seiner Selbständigkeit. Erst nach seinem Tod wird das Ausmaß der Finanzmisere offenbar. Die Aigners müssen ihren gesamten Grundbesitz verkaufen, um Konrads Schulden zu bezahlen. „Nur den Hof konnten wir gerade noch retten." Die 76 Jahre alte Mutter Anna arbeitet heute ganztags im Getränkemarkt auf dem eigenen Hof, „weil sonst das Geld nicht reicht". Die Staatsanwaltschaft hatte erwogen, die beiden Protokollantinnen wegen Nötigung und Betrugs anzuklagen, mußte aber Ende Juli ihre Ermittlungen einstellen: Strafrechtlich sind die Taten bereits verjährt. An der Echtheit der Protokolle jedoch besteht kein Zweifel. Bei Scientology, so heißt es in den internen Vorschriften des Konzerns, müssen derartige „Knowledge Reports" immer dann für den sogenannten Ethikbeauftragten angelegt werden, wenn ein Scientologe auf eine „nicht-optimale Situation" stößt. Auch der Betroffene erhält eine Abschrift und wird aufgefordert, Stellung zu nehmen. Doch was läßt sich damit vor Gericht beweisen? Konrad Aigner hat die Kreditanträge schließlich unterschrieben. Selbst schuld, wenn man sich so über den Tisch ziehen läßt - mit dieser Haltung, sagt Jürgen Keltsch, urteilten immer noch viele Menschen über Opfer wie Aigner. Der langjährige Staatsanwalt und Richter ist als Ministerialrat im bayerischen Innenministerium und als Mitglied der Sekten-Enquetekommission für Scientology zuständig. „Die Scientologen eichen Sie auf ihr System wie in einer Dressur. Der Punkt ist, daß sich das Ihrer Kontrolle, Ihrem Willen entzieht." Mit Glauben oder Religion habe das nichts zu tun. „Der Unterschied zwischen einer Glaubensgemeinschaft und Scientology ist, daß Sie hier systematisch aufgrund moderner, lernpädagogischer Grundsätze gedrillt werden. Die Willensfähigkeit wird eingeschränkt. Wer weiß, wie diese Techniken funktionieren, kann sich ganz leicht dagegen wehren. Wer nicht, sitzt fest." Keltsch spricht von „Psychologie als Waffe", einsetzbar im Sinne Hubbards: Mache Geld, mache mehr Geld! „Sie können mit bestimmten Psychotechniken jemanden euphorisch machen. In dem Augenblick gehen sie mit dem Menschen zur Bank, damit er das Geld für den nächsten Kurs aufbringt. Ich meine, daß so was sittenwidrig ist." 3."Clears bekommen keinen Schnupfen." L. RON HUBBARD Ein einziges Mal kommt es zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen Konrad Aigner und seiner Familie. Am 2. April 1997 sendet das Fernsehen eine Dokumentation über sieben mysteriöse Todesfälle von Scientologen. Auch der Fall der 36jährigen Lisa McPherson aus Florida, die die Organisation verlassen wollte, wird geschildert. Nach mehreren merkwürdigen Ereignissen, unter anderem einem Verkehrsunfall, fällt McPherson ins Koma und stirbt. Als Todesursache wird eine bakterielle Infektion diagnostiziert. Die amerikanische Polizei untersucht daraufhin, ob Scientology der jungen Frau statt wirksamer Medikamente hochdosierte Vitaminpräparate gegeben hat, die - langfristig, ohne ärztliche Kontrolle eingenommen - innere Organe schädigen können. Konrad Aigner will den Bericht nicht zu Ende sehen, wütend verläßt er das Wohnzimmer: „Wie gut die schauspielern können!" Am Donnerstag, dem 17. Juli 1997, nach 21 Uhr, bekommt Konrad Aigner einen Anruf. „ja, ja, ist klar, ich komme sofort." Mit Schweißperlen auf der Stirn habe er seine Sachen gepackt und sei kurz vor Mitternacht mit seinem Bus nach München gefahren, sagt sein Bruder. Eine leichte Erkältung hat er zu diesem Zeitpunkt, ansonsten ist er nach Meinung seiner Familie gesund. Am Sonntag erreicht ihn ein Kollege am Bus-Telephon. Aigner habe geklungen, als könne er nicht einmal mehr stehen und richtig sprechen, erinnert sich der Mann. „Alles aus", habe Aigner nur gesagt, „kann ich dir nicht erklären, alles aus." Am gleichen Tag verursacht er mit seinem Bus einen Auffahrunfall; ob vor oder nach dem Telephonat, läßt sich später nicht mehr klären. Am Montag soll er einige Scientologen zu einer Demo „für Religionsfreiheit" nach Frankfurt fahren. Noch Sonntag abend mietet er in Begleitung zweier Mitglieder hektisch zwei neue Busse an. Der Autovermieter ist der letzte Nicht-Scientologe, der Konrad Aigner vor seinem Zusammenbruch sieht. Aigner habe gewirkt, als stehe er unter Druck. „Der war fix und fertig." Auch mit einem der gemieteten Busse, den eine 19jährige Scientologin fährt, passiert ein Auffahrunfall. Anschließend, im Hotel in Frankfurt, bemerkt ein Zimmerkellner angeblich, daß es Aigner sehr schlecht geht. Dennoch fahren die Scientologen später gemeinsam mit ihm nach München zurück. In welcher Verfassung Aigner da war und wer den Wagen gefahren hat, ist unklar - die Scientologen weigern sich, Details zu nennen. Gegen 22 Uhr bricht Aigner in ihrer Zentrale zusammen. „Kein akutes Ereignis", befindet der Notarzt, der Zusammenbruch müsse sich also bereits in den letzten Tagen angekündigt haben. Für Bernhard Aigner ist Scientology schuld am Tod seines Bruders: „Er ist zu spät eingeliefert worden, als es nicht mehr anders ging. Ich greife die deswegen an, weil sie das ganze Wochenende mit ihm zu tun hatten. Wenn die am Sonntag morgen merken, daß es ihm nicht gutgeht, dann braucht er Hilfe, und zwar ärztliche Hilfe, nicht scientologische. Wenn er nicht bei denen gewesen wäre, könnte er noch leben." Konrad Aigner war nicht mehr krankenversichert. Er glaubte, daß Scientology ihn vor Krankheit schützen werde. In seinem meistverkauften Buch, Dianetik (Erstauflage 1950), verspricht Hubbard seinen Anhängern, daß Arthritis, Allergien, Magengeschwüre und eine lange Liste weiterer Beschwerden „mit Hilfe der dianetischen Therapie", also der scientologischen Lehre, „ausnahmslos geheilt werden". Das sei „eine experimentell erwiesene Tatsache: Clears bekommen keinen Schnupfen." Die „Therapie" besteht in der Regel aus teuren Gesprächen, Vitaminen und vier- bis achtstündigen Saunagängen. In Aigners Nachlaß findet die Staatsanwaltschaft nicht nur die Protokolle und Rechnungen, sondern auch Kisten voll hochdosierter Vitaminpräparate, Adreßlisten von scientologischen Apotheken und seitenlange Anweisungen für sogenannte Reinigungs-Rundowns, mit denen Körper und Geist entgiftet werden sollen. Darin heißt es: Nach einer Stunde joggen „anschließend ca. 4 Std. saunieren, wobei die Hitze gradienterweise hochgedreht wird. (...) Es sind Salztabletten und, wenn nötig, auch Potassium einzunehmen, falls man körperliche Schwierigkeiten wie Ohnmacht oder Übelkeit in der Sauna verspürt." Immer wieder fährt Bernhard Aigner in den folgenden Wochen zu den Münchner Scientologen. „Schließlich waren das die Leute, die in seinen letzten Tagen mit Konrad zusammen waren. Ich wollte wissen, was an dem Wochenende passiert ist. Aber ich habe keine Auskunft bekommen." Scientology lehnt jede Verantwortung ab. Nie, behauptet der Pressesprecher der Organisation, Johann Altendorfer, habe man Konrad Aigner „zum Kauf oder Konsum von Tabletten oder sonstigen Präparaten geraten". Um sich rechtlich abzusichern, läßt Scientology ihre Mitglieder vor der Tortur des Reinigungs-Rundowns ein Formular unterschreiben. Als habe es Hubbards Versprechungen ewiger Gesundheit nie gegeben, versichern sie darin: „Ich verstehe, daß Scientology nicht auf Behandlung oder Heilung von körperlichen Krankheiten abzielt. Ich verzichte und quittiere hiermit, daß ich und meine Erben für immer von allen vorhersehbaren und unvorhersehbaren Ansprüchen und Anklagepunkten, Aktionen, Verlangen, Rechten, Schäden, Ungerechtigkeiten, Kosten und Verlusten gegenüber Personen oder Eigentümern der Scientology absehen werden." GLOSSAR Clear: ein Übermensch, der einer perfekt funktionierenden Maschine gleicht. Deren Idealzustand beschreibt L. Ron Hubbard so: „gut geölt, kraftvoll schimmernd und imstande, alle ihre eigenen Funktionen ohne jede weitere Wartung abzustimmen und zu steuern". Brücke: die scientologische Ausbildung Handhaben: unter Kontrolle bringen. Laut Verfassungsschutz bedeutet „handhaben", jemanden mit rücksichtslosen Methoden wie seelischer Schikane und Psychoterror gefügig zu machen. (Intensiv-)Auditing: Verfahren, das mit Hilfe eines Lügendetektors die Emotionen eines Menschen überprüft und so dessen Schwachpunkte (sogenannte Ruinpunkte) herausfindet. Dem Teilnehmer werden mitunter stundenlang immer wieder die gleichen Fragen gestellt, bis er endlich die „richtigen" Antworten gibt. Minderheiten/Rechtsanwälte beklagen Diskriminierung religiöser Minderheiten epd 25.8.98 Bonn/Berlin (epd). Mehrere Anwälte haben am Dienstag in Bonn ein Klima der Intoleranz gegenüber sogenannten Sekten und Psychogruppen beklagt. Sie legten an den Bundestag gerichtete Petitionen vor, in denen eine Stopp gegenüber Anhängern und Mitgliedern dieser Gruppierungen verlangt wird. Zur Begründung ihrer Forderung beriefen sich die Anwälte auf den Abschlußbericht der Enquetekommission , in dem eine Gefahr für Staat und Gesellschaft durch neue religiöse Gemeinschaften verneint werde. Die Rechtsanwälte, die umstrittene Organisationen wie , , sowie den vertreten, sprachen von einer Kampagne gegen diese Gruppierungen. Daran seien Politiker, kirchliche Weltanschauungsbeauftragte und Medien beteiligt. Im einzelnen forderten sie eine Rücknahme sowie die Einstellung von Aufklärungsaktivitäten über Sekten bei Richtertagungen, in Volkshochschulen und Schulen. Außerdem kritisierten sie Behinderungen der Gruppen beim Zugang zu kommunalen Räumen sowie bei der Werbung mit Infoständen. Der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (Berlin), Michael Nüchtern, erklärte zu den Vorwürfen, es gebe keinen Anlaß, um die Überzeugungsfreiheit in Deutschland besorgt zu sein. Im Zusammenhang mit den neuen religiösen Bewegungen müsse das eingehalten werden.