http://www.br-online.de/politik/ard-report/archiv/0906scien.htm 9.Juni 1997 Die Nachhilfe-Falle : Wie Scientology Nachwuchs rekrutiert von Lisa Wurscher und Marion Paulsen Durch einen anonymen Anruf stoßen wir auf ein Flugblatt in München. Ein Lehrer bietet dort Hilfe bei Schul- und Lernschwierigkeiten an. Er soll Mitglied beim Psycho-Konzern Scientology sein, so der anonyme Informant. Wir wollen dem Hinweis nachgehen. Wir geben uns als Mütter aus, haben zwei Kinder zur Nachhilfe gebracht. Sie sind über Scientology aufgeklärt. Bei ihnen kann diese Stunde keine Schäden hinterlassen. Mit einer Amateur-Videokamera filmen wir den Unterricht. Die Lehrbücher stammen von L.Ron Hubbard, dem Gründer der Organisation. Auf dem Tisch liegt ein Flugblatt des Psycho-Konzerns. Dennoch: der Lehrer klärt uns nicht über Scientology auf. Lernziel ist ausschließlich die Definition einfacher Begriffe. Bessere Noten bringt diese Art von Nachhilfe wohl nicht. Sie hat einen ganz anderen Zweck, soll die Kinder anscheinend ohne Wissen der Eltern an Scientology heranführen. Wir haben uns die gleichen Lehrbücher besorgt, wollen den subtilen Methoden der Beeinflussung auf den Grund gehen. Jetzt wird deutlich: die Definition einfacher Wörter sollte einen zentralen Begriff einführen: das mißverstandene Wort. Um das angebliche Mißverständis zu beheben, müssen die Kinder die Wortbedeutung klären. Beispiel: die Bank. Auf einer Bank kann man sitzen - auf einer Bank gibt es auch Geld. So weit, so gut. Doch dann impft der Lehrer den Schülern noch eine dritte Definition von Bank ein: den reaktiven Verstand, scientologisches Synomym für das Unterbewußtsein. Ihn gilt es, laut Scientologen, zu beseitigen, weil er den Menschen belastet. Diese Definition bereitet die Kinder auf hypnotische Sitzungen , das sogenannte Auditing, vor. Eine quälende Prozedur. Wir sollen das noch selbst erfahren. Ein halbes Jahr später. Wir haben mittlerweile Zugang zum innersten Kreis der Sekte, sollen selbst zum Nachhilfe-Lehrer für die scientologische Tarnorganisation "Applied Scholastics" ausgebildet werden. Mit versteckter Kamera dokumentieren wir das Vorstellungsgespräch in Köln: Die Leiterin der deutschen "Applied Scholastics" - Zentrale erzählt uns: "Wir sind im Grunde dieses Büro in Deutschland und bauen in ganz Deutschland verschiedene Studiergruppen auf, damit das einfach bekannter wird. Und das Schlimme ist im Moment , daß wir das eigentlich überhaupt nicht bekannt machen können, denn sofort kommt die Presse an und sagt Scientology und Gehirnwäsche. Und die Leute machen zu. Die wollen nichts davon hören und nichts damit zu tun haben. Also, das ist ziemlich kriminell, was da abläuft." "Das sagt man den Leuten dann also besser nicht...?" "Also ich sag' das keinem. Das, was sich hier oben abspielt, da kriegen die doch gar nichts von mit." Nach dieser Einführung beginnt unsere Lehrerausbildung. In Obertshausen bei Frankfurt sollen wir zunächst zu einem guten Scientologen gemacht werden. Was wir vorhaben, ist ein Selbstversuch einer der Autorinnen. Riskant, denn gegen die Wirkung der scientologischen Psycho-Techniken kann sich niemand wehren. Die quälende Prozedur beginnt, Wir müssen der sogenannten Auditorin mit geschlossenen Augen gegenüber sitzen, dürfen nicht sprechen, uns nicht bewegen. Sie starrt uns an, eine ganze Stunde lang. Mit aller Kraft kämpfen wir gegen die Übelkeit, die aufkommt. Gegen Ende wird die Situation dann fast unerträglich. Schweigen als Foltermittel. Nach einer Stunde: endlich Schluß. Ohne Pause geht es weiter. Die nächste Übung. Diesmal müssen wir die Rolle des Auditors übernehmen. Denn wir sollen lernen, diese zermürbenden Methoden später auf unsere Schüler anzuwenden: "Fliegen Vögel?" "Bist Du doof." "Ich wiederhole die Auditing-Frage. Fliegen Vögel?" "Ich bin auch doof. Weißt Du, was zu mir mal meine Tochter gesagt hat: Du bist eine Arschkackmutter. Hat die zu mit gesagt." "Aha. Ich wiederhole die Auditing-Frage Fliegen die Vögel?" "Ja". "Danke. Fliegen die Vögel?" "Mhm". "Gut. Fliegen die Vögel?" "Natürlich". "In Ordnung. Fliegen Vögel?" "Hast Du das noch nie gesehen, daß Vögel fliegen? Ich meine, Du mußt schon mal gesehen haben, daß Vögel fliegen. Die fliegen doch". "Gut. Fliegen Vögel?" "Mhm", "Danke. Fliegen Vögel?" „Ja, ja, die fliegen". "Gut. Fliegen Vögel?" Drei Tage geht das so. Irgendwann werden wir willenlos, reagieren mechanisch. Unsere Auditorin erkennt das sofort: "Jetzt hab' ich Dich erwischt. Jetzt bist Du abgestumpft. Jetzt hab ich den Punkt. Kannst Dich nicht mehr rühren. Stimmt's.Gehirn gewaschen. Stimmt's? Gehirn gewaschen. Hast es nicht gemerkt. Stimmt's?" Wir führen den Diplom- Psychologen und Therapeuten für Stasi-Opfer, Klaus Behnke, diese Szenen vor.Sein Eindruck: "Als ich das das erste Mal gesehen habe, ist es mir wirklich kalt den Rücken runtergelaufen. Es erinnert mich an das, was mir viele berichtet haben, die psychischer Folter beim Staatssicherheitsdienst ausgesetzt waren - wo durchaus ähnliche Methoden angewandt worden sind, um denjenigen, - wie die Stasi es nannte - zu zersetzen mit ihren Zersetzungsmethoden." Bei Kindern funktioniert die Zersetzung besonders gut. Sie leisten keinen Widerstand. Deshalb treiben die Scientologen den Aufbau der Nachhilfegruppen intensiv voran. Mindestens elf "Applied Scholastics"-Filialen gibt es bereits: in Velbert bei Wuppertal, in Erzhausen bei Darmstadt, in Kriftel bei Frankfurt, in Heilbronn, Hartheim bei Freiburg, Hamburg, Berlin, Köln und München. In ganz Deutschland sind als Nachhilfe-Lehrer getarnte Scientologen auf der Suche nach ahnungslosen Opfern. Die scientologischen Unterrichts-Methoden mußten wir im Fernkurs pauken, dann ist es Zeit für eine Probestunde. Wir sind mit unserem Schüler nicht allein. Neben uns sitzt die Institutsleiterin. Sie will kontrollieren, ob wir uns zu einem zuverlässigen Lehrer für die Organisation entwickelt haben. Mit diesem Praktikum sind unsere internen Recherchen abgeschlossen. Nach eineinhalb Jahren können wir unsere Zeit bei Scientology endlich beenden. Copyright © 1997 Bayerischer Rundfunk