Stern-TV, 18.11.1998, Transkript des Einspielfilms

Off-Sprecher (OS): Bernhard Aigner vor der Münchner Scientology-Zentrale. Der 38-jährige Niederbayer ist mit den Nerven am Ende. Er hat Alpträume, er schläft schlecht. Vor 1 1/2 Jahren brach in diesen Räumen sein Bruder zusammen. Akute Atemnot, Koma. Konrad Aigner war 22 Jahre lang Mitglied bei Scientology, die Psychosekte hat aus ihm ein seelisches Wrack gemacht. Er schluckte Vitaminpillen, er meinte, nicht mehr krank werden zu können. Doch Konrad Aigner starb nach 3 Wochen im Koma.

Bernhard_Aigner: Meine ganz klare Meinung darüber ist: Wäre er nicht bei den Scientologen gewesen, wäre er kein Scientologe gewesen, dann könnte er noch leben.

OS: Konrad Aigner war bodenständig, fröhlich, ein echter Niederbayer, Familienmensch mit sechs Geschwistern. Er stammte aus Ruhmannsaigen, einem winzigen verschlafenen Dorf mit sieben Häusern nahe der österreichischen Grenze. Hier sind alle erzkatholisch. Was Konrad Aigner bei Scientology suchte, daß hat die Familie nie verstanden.

Mutter von Aigner: Immer wieder habe ich ihn gefragt, Konrad Du brauchst doch die nicht. Du hast doch selber einen Verstand. Zum Erfolg hat er gemeint, er kommt zum Erfolg. Das hast Du doch selber.... Du bist ja jung und gesund. Ich hab nichts machen können.

OS: Nach seinem Tod kam für die Familie das Desaster. Konrad Aigner hinterließ nur Schulden.

B_Aigner: Das war ein Schock für uns. Weil wir wohl wußten, daß er Scientologe war, aber wir wußten nicht, wie tief er da drinsteckt.

OS: Damit nicht genug. In einer Rumpelkammer neben Konrad Aigners Zimmer findet die Familie nach seinem Tod einmalige Dokumente: Protokolle, in denen zwei Scientologinnen beschreiben, wie sie an Konrad Aigners Geld wollten. Formulierungen und Zeichen, die die Familie zunächst nicht versteht.

Protokoll-Auszug: "Konrad Aigner ist seit 16 Jahren in Scn + hat es bis jetzt nicht gepackt Clear zu gehen bzw. die Brücke hochzugehen sondern ist immer wieder von der Brücke gefallen..."

OS: Clear, daß ist nach den Verheissungen der Psychosekte ein hoher Bewußtseinszustand. Der Weg dorthin wird Brücke genannt und besteht aus Dutzenden teurer Kurse, bei denen man sich fragwürdigen Psychotechniken unterziehen muß. Intensive Befragungen, stundenlanges Anstarren zum Beispiel. Wir fragen nach, welchen Status Konrad Aigner bei Scientology hatte und bekommen eines der seltenen Interviews.

Interviewerin (I): Hatte er eigentlich den Status Clear?

Johann Altendorfer, Sprecher Scientology München: Nein.

I: Aber er hatte ihn doch mal?

Altendorfer: Nein.

I: Ich habe ein Zertifikat gesehen, wo er den Status Clear hatte.

Altendorfer: Also bei meinem Kenntnisstand hatte er den nicht.

OS: Merkwürdig: Im Nachlaß von Konrad Aigner bescheinigt Scientology, daß er tatsächlich Clear war und das schon 1984. Trotzdem reden ihm die Scientologinnen ein, er müßte diesen Status nochmal erreichen, obwohl er schon viele Kurse teuer bezahlt hat.

Protokoll-Auszug: "Konrad brauchte 37.000 bis Clear. Konrad hatte von Anfang an das Problem, daß er nicht wollte, daß seine Eltern etwas von der Sache mitkriegen. Ich sagte ihm, daß wir zu ihnen hingehen und daß wir ihnen sagen, daß er bei Scientology ist und daß wir sie dafür handhaben. Konrad wollte das nicht und hatte totale Angst, daß dann der Teufel los ist in der Family."

OS: Denn Konrad Aigner war für das Geld verantwortlich. 1985 hatte ihm der Vater das Familienerbe arglos übertragen.

B_Aigner: Die Grundstücke und das Anwesen hat der Vater 1985 ihm überschrieben, weil er der Bodenständigste war, der handwerklich Geschickteste und deswegen konnte er auch auf diese Grundstücke Kredite aufnehmen.

OS: Nur einen Monat nach dem Übertrag geht Konrad Aigner zur Bank und nimmt 50.000 DM Kredit auf. Heute will Scientology glauben machen, es sei nur um geringe Beträge gegangen.

Altendorfer, Scientology München: Konrad Aigner war ca. 22 Jahre in Scientology und wenn man das umrechnet, dann dürfte er 500-600 DM im Monat bezahlt haben.

OS: Allerdings kamen 1989 in nur sechs Monaten über 70.000 DM zusammen, laut der eigenen Abrechnung der Sekte. Direkt nach der Bundeswehr arbeitete Aigner als Rangierer und Bahnbusfahrer bei der Bundesbahn. In dieser Zeit bekam er Kontakt zu Scientology. Er war vermutlich fasziniert von den Versprechungen von L Ron Hubbard:

L Ron Hubbard: Wenn man bestimmte Sachen weiß und anwendet, verbessert es die Intelligenz eines Menschen.

OS: Aber Konrad Aigner verdient nur 2.000 DM netto. Als ihm erneut das Geld ausgeht, haben die Scientologinnen eine Idee.

Protokoll-Auszug: "Wir sind dann zur Raiffeisenbank in Triftern, die haben sich sofort bereit erklärt die Ländereien mit 200.000,- DM zu beleihen, aber dazu müßten die Eltern mit unterschreiben beim Notar."

OS: Und tatsächlich: Konrad Aigner läßt 200.000,- DM beim Notar als Grundschuld eintragen. Nach seinem Tod müssen die Geschwister zusammenlegen, um wenigstens das Elternhaus retten zu können. Wiesen, Äcker und Wälder müssen verkauft werden. Die 76-jährige Mutter betreibt heute einen kleinen Getränkemarkt, sonst reicht das Geld nicht. Sie erinnert sich, wie sehr ihr Sohn Anfang der 90er Jahre unter Druck stand:

Mutter von Aigner: Mama, hat er gesagt, ich habe etwas erlebt, wenn ich Dir das erzähle, da fällst Du tot um. Na, was soll denn das. Ich hab dann nicht mehr weiter gefragt. Ich hab mir gedacht, das mache ich ein anderes Mal. Das war grad nicht der richtige Zeitpunkt.

OS: Aigner vertraut sich auch einem Freund an, Dr. Stephan Gemen. Der Landarzt soll Aigner beim Ausstieg helfen.

Stephen Gemen: Ich sollte ihm ein Attest ausstellen. Und auf meine Frage hin, was er damit bewirken wollte, hat er gesagt: Ja, er möchte aussteigen. Und er könnte das eigentlich nur tun, indem er denen dort oben - so hat er das in etwas ausgedrückt - beweisen konnte, daß er sich negativ verändert habe.

OS: Doch die Sekte will ihn nicht gehen lassen. Immer wieder suchen Scientologen Kontakt zu Aigner, auch wildfremde Menschen melden sich bei ihm.

Auszug aus Brief: "Leider kenne ich Dich nur aus unserer Adressenkartei und würde Dich doch gerne einmal persönlich kennenlernen."

OS: Aigner verändert sich total, seine Persönlichkeit wirkt wie ausgewechselt. Stundenlang liegt er wie hier apathisch auf dem Sofa.

B_Aigner: Er war eine Stimmungskanone vorher, er war ein sehr lebensfroher, lustiger Mensch und er ist das Gegenteil geworden. Er ist nur noch teilnahmslos auf der Couch gelegen, hat sinniert, hat den ganzen Tag überlegt, war gar nicht mehr bei der Sache. Es kam einem vor, als ob er in einer anderen Zeit wäre.

OS: 21. Juli 1997. Als selbstständiger Busfahrer kommt Aigner so eben über die Runden. Er fährt oft für Scientology, so auch an diesem Tag. Nach der Rückkehr von einer Tour bricht er in der Münchner Zentrale zusammen. Drei Wochen lang liegt er im Koma auf der Intensivstation. Dann fallen nacheinander alle Organe aus. Aigner stirbt an multiplem Organversagen. Dabei galt der 43-jährige als kerngesund. Die Polizei durchsucht die Räume von Scientology und ermittelt ein Jahr lang, aber in Aigners Körper sind keine Gifte. Die Zeugen, Scientologen, geben bei der Polizei an, sofort gehandelt zu haben, als ein Notfall erkennbar war. Das Verfahren wird eingestellt.

Das Zimmer von Konrad Aigner in Ruhmannsaigen, leer und verwaist. Doch seinen Tod hat die Familie noch lange nicht verarbeitet.

B_Aigner: Seine Zerstörung, die fand ja in jeder Beziehung statt: Psychisch, finanziell,....er war völlig am Ende. Und die Scientologen sagen ja auch: "Ich habe Dich lieber tot als unfähig". Und so sehe ich das auch bei meinem Bruder.

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